Zwischen Bemächtigung und Entzug : Der Atem des Bösen in <em>Breaking Bad</em> und <em>The Fall</em>

Zwischen Bemächtigung und Entzug : Der Atem des Bösen in Breaking Bad und The Fall

Par HEINE Stefanie

[Illustrierte Ausgabe im PDF-Format]

 

« Evil is unintelligible 1 », « beyond comprehension 2 », « the less sense it makes, the more evil it is 3», schreibt Terry Eagleton in seinem Buch On Evil. Demnach scheint es wenig verwunderlich, dass auf der Leinwand das Böse oft an hörbaren Atem gekoppelt ist – denn Atmen entzieht sich grundsätzlich der Verständlichkeit, es ist, wenn überhaupt, nur bedingt lesbar. Der deutlich hörbare Atem von Bösewichten ist in bestimmten Genres längst zum Topos geworden : David Scott Diffrient spricht vom « conventional [...] trope of the heavy-breathing serial killer 4 », wir kennen das angsteinflößende, drohende Röcheln in Horrorfilmen und natürlich Darth Vaders mechanisches Schnaufen durch die Maske 5. Auch losgelöst von Figuren signalisiert Keuchen oder Röcheln als nicht-diegetisches Begleitgeräusch oft, dass etwas Unheilvolles in der Luft liegt, eine bedrohliche Präsenz, die sich nicht fassen lässt, aber #deutlich ʽböseʼ konnotiert ist. In diesen Fällen wird das hörbare Atmen mit Assoziationen des Unnatürlichen, Unmenschlichen 6, Verderbten, Abjekten behaftet. Paradoxerweise wird in diesen Fällen das, was sich nicht verstehen und greifen lässt – der Atem, das Böse – in einen Sinnzusammenhang gestellt : Schweres Atmen bedeutet, verweist auf das Böse. Solche Sinnzuschreibungen ergeben sich aus kulturellen Narrativen, von denen sowohl das Atmen, als auch ʽdas Böseʼ gesättigt sind. Eagletons Diagnosen – « Evil is unintelligible », « beyond comprehension » etc. – sind das Resultat einer kultur- und literaturwissenschaftlichen Studie, sie beruhen auf zahlreichen Darstellungen des Bösen in verschiedensten Diskursen – von Shakespeare bis zu zeitgenössischen Medienberichterstattungen. Obwohl der physiologische Prozess des Atmens selbst meist lautlos und unsichtbar bleibt, haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das seit der Antike verschiedenste Semantisierungen durchlebt hat. Durch die Jahrhunderte erscheint Atem in kulturhistorischen Rahmungen, die sich besonders im medizinischen, religiösen und künstlerischen Kontext auf etymologische Verknüpfungen von Atem und Wind, Pneuma, Spiritus, etc. berufen.

Dies zeigt sich auch in den Texten der prominentesten zeitgenössischen Denkerin des Atems, Luce Irigaray, die ein Vergessen der Luft prognostiziert. Aufmerksamkeit auf den Atem wird bei Irigaray weiblich konnotiert, als Bewusstsein des eigenen Körpers, der immer schon eingebunden ist in Natur und Umwelt und in konstantem Austausch mit der unsichtbar gewordenen prälinguistischen Möglichkeitsbedingung des Lebens und des Seins 7. In Irigarays strikter Gender-Zuschreibung treibt das Männliche die lebensgebende Luft in die Unsichtbarkeit und sperrt sich der konspirativen Öffnung : « he closed himself off to being permeable and porous to all things 8. » Auf den ersten Blick könnte es aus einer Irigaray’schen Perspektive also verwundern, dass auf der Leinwand besonders auffälliges Atmen oft männlich konnotiert ist. Allerdings könnte man mit Irigaray dieses hörbare Atmen von männlichen Schurken auch als eine Perversion des Atems deuten: eine männliche Aneignung, die eben nicht im harmonischen Einklang mit der Natur ist, sondern das lebensgebende Prinzip ins Gegenteil umkehrt, mörderisch, zerstörerisch werden lässt. Gerade der Rückgriff auf die Natur ist allerdings kritisch zu beleuchten. Es liegt auf der Hand, dass Irigarays Überlegungen selbst (und Weiterführungen in dieselbe Richtung, wie ich sie eben tentativ angestellt habe) theoretische Konstrukte sind, die sich auf verschiedene Aspekte einer reichen Kulturgeschichte des Atems berufen. Irigarays Gleichsetzung von Atem und Natur ist also problematisch – wie auch ihre klaren Wertungen und das oft stereotype, binäre Gendering.

Dem auf der Leinwand ästhetisierten Atem ist seine kulturgeschichtliche Prägung stets eingeschrieben – wie Jean-Thomas Tremblay in der Einleitung seiner Sonderausgabe des New Review of Film and Television Studies bemerkt : « screen cultures and cinema, television, and media studies are coming to terms with the realization : no one is ever just breathing 9. » In meiner Diskussion von zwei schwer atmenden und atemlosen Schurken – Walter White aus der mittlerweile legendär gewordenen Serie Breaking Bad und Paul Spector, der Serienmörder aus der weniger bekannten britisch-irischen Produktion The Fall – möchte ich im Folgenden, trotz kritischer Haltung zu den besprochenen Figuren, vor allem die moralisierende Haltung vermeiden, die im Kino und Fernsehen oft durch deren Keuchen suggeriert wird (oder eben ins Atmen hineingelesen wird): Die Bösen atmen unnatürlich, was nicht in die Kategorie ›normales Atmen‹ fällt und von charakterlicher Verderbtheit zeugt. Atem auf der Leinwand ist nie natürlich, nie neutral, « no one is ever just breathing ».

Jüngst wurden Atem-Diskurse stark politisch aufgeladen. Die letzten Worte von Eric Garner, bevor er 2014 im Würgegriff eines weißen NYPD Offiziers erstickte, « I can’t breathe », wurden zum Motto der Black Lives Matter-Bewegung – ein Motto, das im Mai/Juni 2020 ein schreckliches, ohrenbetäubendes Echo hatte: Nach der Ermordung von George Floyd in Minneapolis, ebenfalls durch die Hand eines weißen Polizisten, der im Sterben ebenfalls mehrfach « I can’t breathe » wiederholte, wurden die Worte zur allgegenwärtigen Parole der Proteste. Besonders seit Frantz Fanon mit der Wendung « combat breathing » eine Reflexion über respiratorische Bedingungen unter kolonialer Besetzung anstellte 10, wurde Atmen zum politischen Kampfplatz, etwas, das es von denen, über die Macht ausgeübt wird, zurückzufordern gilt 11. Ich möchte in meinen Überlegungen zeigen, dass Atmen nicht nur als Objekt von Unterdrückung fungiert, das befreit werden muss – es kann genauso als ein Werkzeug der Repression oder der Aufrechterhaltung von Herrschaft eingesetzt oder, besser gesagt, in Szene gesetzt werden. Als Bühnen des kulturellen Imaginären erlauben uns Fernsehserien, inszenierte Atem-Mechanismen derjenigen, die Macht ausüben, unter die Lupe zu nehmen und Strategien aufzudecken, die – zumindest versuchsweise – Atem zum Machtmittel erheben. Im Folgenden nehme ich zwei komplexe Schurkenfiguren in den Blick, die auf jeweils verschiedene Weise tyrannische Züge annehmen, wenn sie durch die Manipulation des Atems das Gesetz in ihre Hände nehmen.

Zuerst einige Worte zu diesen kontroversen Atmern. Beide sind Männer, beide werden von anderen Figuren in der Serie als Verkörperung des Bösen angesehen. Über Walter White wird gesagt : « he’s the devil 12 » a « lying, evil scumbag 13 », Paul Spectors Morde und er selbst werden wiederholt als « pure evil » charakterisiert. Eine gewisse Ungreifbarkeit und Unerkennbarkeit tragen sie schon in ihren Namen : Paul Spector wird zwar mit ʽoʼ geschrieben, die Aussprache deckt sich aber mit ʽspectreʼ, dem Gespenst, Phantom. In Walter Whites Namen das symbolische Weiß der Unschuld zu lokalisieren, wäre weit hergeholt, vielmehr drängt sich die Farblosigkeit, die sich der Sichtbar- und Interpretierbarkeit entzieht, auf. Gleichzeitig zeichnen sich beide Figuren dadurch aus, dass sie das Unsichtbare, Nicht-Greifbare in Form des Atems zu kontrollieren versuchen. Gerade durch diese Manipulation des Atems werden White und Spector zu Aushängeschildern toxischer Männlichkeit und mit dem Bösen konnotiert. Halten wir uns vor Augen, dass Atem nicht nur schwer fassbar ist ; wir sind körperlich abhängig davon, und dem, was wir einatmen, mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Wenn sich White und Spector als Herren über das Unverfügbare inszenieren, träumen sie, mit Eagleton gesprochen, « a dream of evil » : « Pure autonomy is a dream of evil 14. » So der erste Teil meiner These. Nun zum zweiten : In beiden Serien ist eine Korrelation von Masken und sichtbarem oder hörbarem Atem zu beobachten. Das In-Szene-Setzen oder Diskutieren von Masken ist oft verbunden mit Momenten, in denen der Atem sich als nicht lesbar und verständlich zeigt oder sich der Kontrolle der Bösewichte entzieht. An genau diesen Schnittstellen, wo sich Atem der Bemächtigung entzieht und Masken mehr verbergen als sie zeigen, wird die klare Konturierung des Bösen selbst unterlaufen und die Binarität von Gut/Böse destabilisiert.

Sehen wir uns die beiden Schurkenfiguren in Breaking Bad und The Fall nun genauer an. In Breaking Bad entwickelt sich der Protagonist Walter White im Verlauf der Serie vom ʽgood guyʼ zum ʽbad guyʼ. Alles beginnt mit einer Lungenkrebsdiagnose, die das geregelte Leben von Walt durcheinanderbringt. Die hohen Kosten der Chemotherapie und die Angst um die finanzielle Zukunft seiner Familie nach seinem scheinbar sicher bevorstehenden Tod lassen ihn zu drastischen Mitteln greifen : Der Chemielehrer beschließt, Meth zu kochen, um schneller an mehr Geld zu kommen. Bald zeigen sein heimliches Talent und die neue kriminelle Laufbahn eine erstaunlich ermächtigende Wirkung. Walt, der zuvor ein Berufsleben als degradierter Angestellter erduldete, ist plötzlich Großverdiener und wird zur Berühmtheit in der Meth-Szene. Die Befreiung von all den Regeln, Vorschriften und Erwartungen, die zuvor seinen Alltag bestimmten, hat auch erstaunliche gesundheitliche Folgen. Je mehr Walt seinen Mann steht, desto weniger ist die körperliche Schwäche im Fokus. Im Laufe der Entwicklung wird die Krebserkrankung kaum mehr thematisiert und mit ihr verschwindet das auffälligste Symptom, Walts Husten. Die Serie liefert zwar eine Erklärung dafür : Das starke Husten war nur Folge eines Risses in der Speichelröhre, die Chemotherapie wirkt, der Tumor bildet sich zurück. Allerdings ist hier noch eine andere Logik jenseits der medizinischen am Werk. Walts schwacher Körper spiegelte seinen schwachen Charakter. Mit der Ermächtigung, die, so sympathisch sie erst daherkommt (wenn man gewillt ist, die misogynen Untertöne auszublenden), zugleich auch seine Entwicklung zum Bösewicht markiert, wird die Intaktheit von Walts Körper wieder hergestellt und sein Atem ganz und gar unwahrnehmbar.

Der bemerkbare Atem ist also, relativ klassisch, Zeichen für einen prekären physischen Zustand – das Ringen mit dem Atem deutet auf einen erschöpften, entkräfteten Körper hin, es enthüllt seine Offenheit, die Abhängigkeit von Substanzen, die von außen eindringen und wieder ausgestoßen werden müssen. Kurzum, es ist die Antithese zum Gender-Klischee der Virilität. Wie sehr Walt darum besorgt ist, eine solche vom angestrengten Atmen bedrohte Virilität aufrechtzuerhalten, zeigt eine Szene mit seinem Sohn, in der es um nicht weniger geht als um das Bild, das Walt der Nachwelt hinterlassen will ; ein Bild, in dem er hofft, noch nach seinem Tode weiterzuleben. Walt macht seinem Sohn vor allem deutlich, wie er nicht in Erinnerung bleiben will, und er erzählt dazu eine für ihn offenbar traumatische Erfahrung kurz vor dem Tod seines Vaters, der an Huntington litt. Trotz der Geschichten, die Verwandte ihm weitergegeben haben, hat Walt nur eine einzige Erinnerung an den Vater – sie spielt im Krankenhaus, einem Zimmer durchdrungen vom « stench of Lysol and bleach you could feel in your lungs »: « the only thing I could remember is him breathing. This rattling sound, like if you were shaking an empty spray paint can, like there was nothing in him 15. »

Nachdem Walts eigene respiratorische Verfassung unauffällig geworden ist, können wir beobachten, wie die Aufrechterhaltung seiner neu errungenen Macht zum Kampf gegen allerlei Arten von vernehmbarem Atem und sichtbarer Luft wird, die ihn beinahe exzessiv umgeben. Am prominentesten sind wohl die im schlimmsten Fall giftigen Gase, die bei der Meth-Produktion frei werden – in der Serie ein wiederkehrendes visuelles Motiv, das mit dem Intro zu ihrem Charakteristikum wurde. Gegen diese Gase schützt sich Walt mit einer Maske, er schirmt sich von der sichtbaren Luft ab. Zudem ist Walt auch mit auffälligen Atmer*innen umgeben. Gerade diejenigen Figuren, die er sich unterzuordnen versucht, konfrontieren ihn mit hörbarem und sichtbarem Atem. Seine Frau Skyler raucht rebellisch und tut ihren Unmut ihm gegenüber mit vorwurfsvoll-entnervtem Stöhnen kund. Auch Jesse, Walts Gehilfe bei der Drogenproduktion, raucht – und nicht nur Zigaretten. Auch sein späterer Chef, der Meth-Großverteiler Gus, den Walt immer verzweifelter aus dem Weg zu räumen versucht, hat ein respiratorisches Erkennungsmerkmal : das gereizte, verächtliche Seufzen als Reaktion auf lästige Angelegenheiten, die er zu regeln hat. Der Umgang mit diesen Figuren, die immer deutlicher werdenden Versuche, sie zu beherrschen und unterdrücken, verleiht Walt zunehmend tyrannische Züge. Ein entscheidender Moment der Serie, der die Zuschauer*innen radikal an ihrer Restsympathie für Walt zweifeln lässt, ist eine dramatische Atemszene. Walt beobachtet, wie Jesses Freundin Jane – die aus seiner Sicht einen schlechten Einfluss auf seinen Geschäftspartner hat – nach einem Drogenexzess an ihrem Erbrochenen erstickt, ohne einzugreifen.

Walts Versuche, die Luft und den Atem zu bemeistern, die von allen Seiten her seine Souveränität bedrohen, sind äußerst ambivalent dargestellt. An einigen Stellen gibt es einen regelrechten Rückschlag dessen, was Walt in Schach zu halten versucht. Eine verlorene Gasmaske, Walts Schutz vor den Meth-Dämpfen, lässt ihn in der 1. Staffel beinahe auffliegen 16.

Im Finale, in dem Walt, mittlerweile wieder krank und hustend, doch noch heroisch stirbt, nachdem er seine Geschäfte ins Reine gebracht hat und sein ʽbad-guyʼ-Image wieder mit positiven Zügen durchmischt wurde, liegt neben ihm eine ebensolche Maske, die er davor voller Nostalgie nach der Zeit erfolgreicher Meth-Produktion an sich genommen hatte.

Walt stirbt nicht röchelnd wie sein Vater und nicht an Lungenkrebs, doch seine Herrschaft über den Atem – für welche die Maske als Instrument diente – ist verloren. Die Maske, die ihn nicht mehr schützen kann, die nicht mehr in seiner Hand, unter seiner Kontrolle ist, bleibt im letzten Bild von Walt ein dunkler Punkt. Es ist nicht klar, was sie zeigen oder verdecken soll, sie widersetzt sich einer eindeutigen Interpretation. Ähnlich obskur operieren im Intro die sichtbaren Dünste, die über den Titel « Breaking Bad » ziehen, bis sie die Schrift völlig vernebeln.

Hier, in diesen ersten und letzten Bildern, entziehen sich respiratorische Indikatoren der Manipulier- und Fassbarkeit. Ebenso unbestimmbar bleibt letztlich, inwiefern Walter White eine Verkörperung des ʽBösenʼ ist.

Wie Walter White ist Paul Spector im Laufe von The Fall darum bemüht, Atem zu kontrollieren. Seine Morde drehen sich klar um Macht: Die Opfer sind ausnahmslos erfolgreiche Frauen – wie Detective Stella Gibson bemerkt, Frauen, die es zu mehr gebracht haben als er in seinem mittelmäßigen Familienvater- und Trauerbegleiter-Dasein. Sobald er die Frauen in seiner Gewalt hat, nimmt Spector die Rolle des biblischen Gottes ein : Er gibt und nimmt Atem. Nach einem Hin und Her von Drosseln und Mund-zu-Mund Wiederbelebung stranguliert Spector seine Opfer. Ihn selbst hört man dabei teils erregt, teils panisch keuchen. Am Beginn der Serie ist Spector ein leerer Fleck. Wir wissen von Anfang an, dass er der Mörder ist, doch nichts über seine Hintergründe und möglichen Motive – er wird als Figur ohne Vergangenheit präsentiert: als Waisenkind, ohne Familie.

Dass wir Spector die ganze Zeit sehen, macht ihn – nomen est omen – nicht weniger phantomhaft. Besonders sein Gesicht, das immer wieder im Close-up gezeigt wird und auch inhaltlich ins Zentrum gerückt wird – ein Spitzname für Spector ist « pretty face » –, erweist sich als unergründlich. Spector braucht keine Maske, um sich zu verbergen, sein Gesicht übernimmt diese Funktion, ist Maske. Die allererste Szene, in der er uns begegnet, macht dies schon deutlich.

Spector steht vor dem Spiegel im Bad eines Opfers, das er stalkt ; er nimmt seine Strumpfmaske ab, atmet hörbar aus und fotografiert sich. Durch den wechselnden Fokus deutet die Kamera an, dass dort, wo eine visuelle Darstellung klar und deutlich wird, eine andere verschwimmt – Spectors Gesicht, aufgesplittet in Spiegelbild, Foto und Kamerabild, entzieht sich im selben Moment wie es sich zeigt. Es ist ebenso wenig ganz erfassbar wie sein suggestives Atmen klar deutbar ist.

Die Strumpfmaske dient offenbar nur dazu, dass ihn niemand beim Einbrechen in die Wohnungen seiner Opfer identifizieren kann. Spector kann sein Gesicht zeigen, ohne dass ihn jemand durchschaut. Dies wird von ihm selbst einerseits als Machtmittel eingesetzt : Vor dem Mordakt, also bevor er vollends über den Atem der Frauen verfügt, legt er die Maske jeweils ab, damit sie ihn bei der Tat sehen können. Analog dazu fragt sich Stella Gibson : « If he breathed air into his dying victims to prolong their lives so that they can see clearly that he was going to kill them 17. » Gleichzeitig ist die Maske bzw. Spectors Gesicht auch ein Schauplatz, an dem die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt. Denn Stella Gibson wird in der ersten Szene, in einer parallelen Kameraeinstellung zu der, die wir von Spector gesehen haben, ebenfalls vor dem Spiegel beim Ablegen einer Gesichtsmaske gezeigt.

Gegen Ende der Serie wirft Gibson Spector vor, sich hinter der Maske der Amnesie zu verstecken – er behauptet, nach einer Schussverletzung keine Erinnerung an die letzten sechs Jahre (d.h. die Zeit, in der er die Morde begangen hat) mehr zu haben ; ob das stimmt oder nicht, wird offen gelassen – der Status der « mask of amnesia 18 » ist also eine weitere Unabwägbarkeit in Bezug auf Spector. Was er selbst auf Gibsons Kommentar antwortet, ist Folgendes : « We’re all wearing masks to some extent; you certainly are 19. »

Wie hier schon angedeutet wird, ist es nicht nur Gibson, die durch diese Maske der Ambivalenz ihre Unschuld verliert – auch wir, die Zuseher*innen, sind mitgemeint. Spectors Name weist darauf hin, dass er eine Reflexionsfigur des Sehens ist – durch ihn verweist die Serie nicht nur auf sich selbst als visuelles Medium, sondern auch auf die Rolle der spectators. Nicht zufällig wird betont, dass Spectors trügerische Brillanz darin besteht, dass er seine Gegenüber spiegelt : « He was almost like a mirror seeming to reflect me back 20 », berichtet eine Frau, die fast zum Opfer wurde. Was ist mit uns, die beim Schauen der Serie über Stunden den Blick auf Spector richten – sozusagen face-to-face mit ihm sind ? An einer Stelle wird unser eigenes Sehen explizit von Spector als ein voyeuristisches bloßgelegt, das mit seinem zusammenfällt. Am Ende eines Videos, das Spector von einem Opfer macht – und das wir wohlbemerkt zusammen mit Gibson ansehen – wendet er sich den Zuseher*innen zu und hält ihnen den Spiegel vor. Nachdem wir einen auf die Kamera (also auf Spector, und auch auf uns, die spectators) gerichteten, schmerzhaft langen Monolog der gefangengehaltenen Frau sehen, die immer verzweifelter um ihr Leben bettelt, wendet Spector die Kamera auf sich selbst und sagt : « Why the fuck are you watching this ? You sick shit. What the fuck is wrong with you 21 ? » Auf Spectors Kommentar zur Maske erwidert Gibson, er sei nur vom « desire to have captivated an audience 22 » getrieben ; « it’s all just a performance 23 », « as a protection against the dreaded black hole of your heart 24 ». Wenn wir als « audience » mitgemeint sind, dann bedeutet Spectors « performance » für uns weniger, den bösen schwarzen Kern seiner Person zu erkennen, sondern als spectators dieser Performance an einen blinden Punkt zu gelangen, an dem die Grenze zwischen dem ʽBösenʼ, der gesehen wird, und derjenigen, die ihm zusieht, unscharf wird. All das ist in der ersten Szene schon angelegt : Wir sehen ja gemeinsam mit Spector in einen Spiegel, sehen aber nicht uns selbst, sondern ihn, sein Bild, das je nach Fokus scharf ist oder verschwimmt.

Im Laufe der drei Staffeln entfaltet sich ein ganzes Spektrum von Narrativen um Spector. Aus verschiedenen Perspektiven erfahren wir, wie Spector gesehen wird und wie er sich selbst sieht. So wird etwa eine religiöse ʽErklärungʼ gegeben – wir befinden uns ja im teilweise erzkatholischen Nordirland : Er ist schlicht und einfach « pure evil », ein « monster ». Psychologische Ansätze bringen eine Geschichte von sexuellem Missbrauch ans Licht : Spector wurde in einem katholischen Heim über Jahre genötigt. Dann ist da auch der Suizid der Mutter, die sich erhängte, als Spector noch ein kleines Kind war. Weiter wird auch die Theorie einer gespaltenen Persönlichkeit in den Raum gestellt. Nietzscheanisch gesehen werden seine Morde als Übermenschphantasien, als Ausdruck eines Willens zur Macht gedeutet, feministisch gesehen erscheint Spector als misogyner sexual predator, der von perversem Begehren getrieben wird. Ein gesellschaftskritischer Blick zeigt Spector als Spiegel einer gewalttätigen Welt, als Rebell gegen moralische Konventionen. So plausibel jede dieser Erklärungen durch den einen oder anderen Hinweis gemacht wird, so wenig fügen sie sich zu einem kohärenten Gesamtnarrativ. Von dem regelrechten Überangebot an möglichen Motiven wird letztlich keines privilegiert – die Narrative werden lediglich nebeneinandergestellt. Im Kontrast zu den Geschichten, die Kapitel für Kapitel rekonstruiert werden und die Leerstelle, die Spector am Anfang darstellt, auffüllen, ja überfüllen, steht sein immer wieder fokussiertes Gesicht, das konsequent Maske bleibt, konsequent kein ʽDahinterʼ preisgibt.

Dieses Unterlaufen einer narrativen Auflösung kulminiert in Spectors letzten Szene, wo Atem und Maske zusammenfallen. In die Enge getrieben von Gibson, die ihn « sentenced 25 » sehen will – also verurteilt, aber wörtlich auch festgeschrieben – begeht Spector in einer psychiatrischen Klinik Selbstmord, indem er sich mit einer Plastiktüte über dem Kopf erhängt.

Einerseits fügt sich dies ins psychologische und sexualpathologische Narrativ ein, es kann gelesen werden als Imitation des Suizids der Mutter oder als ultimativer Klimax der Drosselspielchen, die Spector, wie wir erfahren, zur höchsten Erregung bringen. Andererseits sind die beklemmenden Bilder von Spectors letzten Atemzügen äußerst ambivalent. Werden wir Zeugen vom Triumph absoluter Kontrolle, selbst noch über den eigenen Tod, wenn sich Spector Gibson und dem Gesetz entzieht, indem er sich mit voller Absicht den Atem nimmt – « a dream of evil, of full autonomy » ? Oder entzieht sich dieser Atem in seiner Sichtbarwerdung der Lesbarkeit überhaupt und vernebelt mit Spectors Gesicht auch endgültig alle Narrative, die ihn zu erklären versuchen ? Als Zuschauer*innen sehen wir ein paar Sekunden nur noch das zerknitterte Plastik, getrübt von der Kondensation der Expiration vor einem verschwommenen dunklen Hintergrund, hören Knistern und Atem untermalt von düsteren Klängen. Wir erleben einen Moment lang haptisches Kino, die materielle und sensorische Präsenz des Bildes nimmt Überhand über seine Repräsentationsfunktion 26. In Breaking Bad und The Fall zeigt die Sichtbarwerdung von Atem und Luft mit Luce Irigaray gesprochen vor allem Eines : « This matter escapes mastery 27»

 

  1. Terry Eagleton, On Evil, New Haven and London, Yale University Press, 2010, p. 2.
  2. Ibid.
  3. Id., p. 3
  4. David Scott Diffrient, »Dead, but still Breathing: the Problem of Postmortem Movement in Horror Films«, p. 98-122, New Review of Film and Television Studies, n° 16/2, 2018, p. 101.
  5. Für eine prägnante Diskussion von Darth Vaders Atmen, siehe Davina Quinlivan, The Place of Breath in Cinema, Edinburgh, Edinburgh University Press, 2012, p. 5-6.
  6. Id., p. 5.
  7. Vgl. Luce Irigaray, The Forgetting of Air in Martin Heidegger, Austin, The University of Texas Press, 1999.
  8. Id., p. 55, Hervorhebung S.H.
  9. Jean-Thomas Tremblay, »Breath: Image and Sound. An Introduction«, p. 93-97, New Review of Film and Television Studies, n° 16/2, 2018, p. 96.
  10. Siehe Frantz Fanon, A Dying Colonialism, Haakon Chevalier (Übers.), New York, Grove Press, 1965 [1959]. Eine in Bezug auf das Atmen besonders relevante Diskussion von Fanons « combat breathing » liefert Arthur Rose in « Combat Breathing in Salman Rushdie’s The Moor’s Last Sigh », p. 113-134, in Arthur Rose, Stefanie Heine, Naya Tsentourou, Corinne Saunders, Peter Garratt (Ed.), Reading Breath in Literature, Cham, Palgrave Pivot, 2018.
  11. Vgl. z.B. Christina Sharpe, In the Wake. On Blackness and Being, Durham and London, Duke University Press, 2016; Ashon T Crawley, Blackpentecostal Breath. The Aesthetics of Possibility, New York, Fordham University Press, 2017 ; Magdalena Górska, Breathing Matters. Feminist Intersectional Politics of Vulnerability, Linköping Studies in Arts and Science, n° 683, Linköping, 2016.
  12. Vince Gilligan. Breaking Bad, 05x12, Rabid Dog, directed by Sam Catlin, © Sony, 2013., 40:02.
  13. Vince Gilligan. Breaking Bad, 05x13, To’hajiilee, directed by Michelle MacLaren, © Sony, 2013, 29:15.
  14. Terry Eagleton, On Evil, op. cit., p. 12.
  15. Vince Gilligan. Breaking Bad, 04x10, Salud, directed by Michelle MacLaren, © Sony, 2011, 27:20.
  16. Eine ähnliche Rolle kommt einem literarischen Werk und dessen Autor zu: Leaves of Grass von Walt Whitman – ein Gedichtband, in dem einige der einschlägigsten Atemszenen der englischen Literatur zu finden sind (z.B. « My respiration and inspiration », Walt Whitman, Leaves of Grass, Philadelphia, David McKay, 1891-92, p. 30. Verfügbar via Walt Whitman Archive [www.whitmanarchive.org]). Die Initialen W.W., die Walt mit dem Autor einer prägenden Atempoetik verbinden und die in der Widmung seiner Ausgabe von Leaves of Grass von einem späteren Assistenten bei der Meth-Produktion zentral sind, führen schließlich dazu, dass sein Schwager, der DEA Ermittler Hank, Walts kriminelle Identität aufdeckt.
  17. Allan Cubitt. The Fall, 03x04, The Hell Within Him, ©Artists Studio, 2016, 59:30.
  18. Allan Cubitt. The Fall, 03x06, Their Solitary Way, ©Artists Studio, 2016, 12:20.
  19. Id., 12:24.
  20. Allan Cubitt. The Fall, 02x04, The Mind Is Its Own Place, ©Artists Studio, 2014, 20:35.
  21. Allan Cubitt. The Fall, 02x05, The Perilous Edge of Battle, ©Artists Studio, 2014, 48:09.
  22. Allan Cubitt. The Fall, 03x06, Their Solitary Way, ©Artists Studio, 2016, 13:53.
  23. Id., 14:10.
  24. Id., 14:32.
  25. Allan Cubitt. The Fall, 03x01, Silence and Suffering, ©Artists Studio, 2016, 32:03.
  26. Laura U. Marks, The Skin of the Film: Intercultural Cinema, Embodiment, and the Senses, Durham and London, Duke University Press, 2000, p. 163.
  27. Luce Irigaray, The Forgetting of Air in Martin Heidegger, op. cit., p. 12.
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