Das gestaltlose Böse in der amerikanischen <em>New Weird Fiction</em>

Das gestaltlose Böse in der amerikanischen New Weird Fiction

Par SEILER Sascha

New Weird und das kosmische Grauen

Jeff VanderMeer, Autor der Annihilation-Trilogie und damit selbst ein renommierter Autor im Bereich jenes Subgenres der Horrorliteratur, das man gemeinhin als ‘New Weirdʼ bezeichnet 1, bemerkt in der Einleitung zu der von ihm herausgegebenen Anthologie The New Weird, der Begriff ‘Weirdʼ beziehe sich auf das bisweilen übernatürliche oder phantastische Element in Geschichten zunächst H.P. Lovecrafts, dem geistigen Vater der ‘Weird Fictionʼ, das stets ein gewisses Unbehagen beim Leser hervorrufe. Diese Elemente könnten eine eher plumpe wörtliche Form annehmen oder eine eher symbolische, subtile, oft verbunden mit einer visionären Sensibilität 2. Das ‘New Weirdʼ entwickelte sich nun, so VanderMeer, aus der von Lovecraft geprägten Form der ‘Weird Fictionʼ heraus – wobei es Elemente der ‘New Wave of Horror Fictionʼ sowie des ‘Transgressive Horrorʼ 3 aus den 1980er Jahren übernahm – hin zu einer subtileren Form jenes « surrender[ing] to the weird 4 », wie es China Miéville, einer der führenden Vertreter des Genres, formuliert. VanderMeer selbst versucht sich an einer umfassenden Definition, welche die letztlich äußerst heterogenen Werke von Autoren wie Miéville, Thomas Ligotti, Michael Cisco oder Laird Barron miteinzuschließen in der Lage ist :

 

New Weird is a type of urban, secondary-world fiction that subverts the romanticized ideas about place found in traditional fantasy, largely by choosing realistic, complex real-world models as the jumping off point for creation of settings that may combine elements of both science fiction and fantasy. New Weird has a visceral, in-the-moment quality that often uses elements of surreal or transgressive horror for its tone, style, and effects […]. As part of this awareness of the modern world, New Weird relies for its visionary power on a ‹ surrender to the weird › that isn’t, for example, hermetically sealed in a haunted house on the moors or in a cave in Antarctica. The ‹ surrender › (or ‹ belief ›) of the writer can take many forms […]  5

 

Von Interesse ist im Bereich der ‘Weird Fictionʼ jedoch insbesondere das nihilistische Weltbild, das zahlreichen Texten des Subgenres zugrunde liegt, und das von den Autoren selbst – wie auch von sich mit der Materie intensiv befassenden Philosophen wie Graham Harman und vor allem Eugene Thacker – als ‘Cosmic Pessimismʼ 6  bezeichnet wird.

In seinem 2017, also neun Jahre nach VanderMeers Anthologie, posthum erschienenen Buch The Weird and the Eerie versucht der Kulturkritiker Mark Fisher die Essenz des Seltsamen – wie in der Folge das Genre-Label ‘Weirdʼ nun im vollen Bewusstsein über die eigentliche Unzulänglichkeit dieser viel zu kurz greifenden Übersetzung im Deutschen dennoch bezeichnet werden soll – einzufangen, geht die Problematik, anders als der Schriftsteller VanderMeer, jedoch eher aus einer im Nihilismus verwurzelten, philosophischen Perspektive an. Sein erster Versuch einer Definition lautet demnach :

 

[The Weird] has rather to do with a fascination for the outside, for that which lies beyond standard perception, cognition and experience [and although it might imply some sort of dread, it is] not necessarily terrifying. […]

I want to argue that the weird is a particular kind of perturbation. It involves a sensation of wrongness : a weird entity or object is so strange that it makes us feel that it should not exist, or at least it should not exist here  7.

 

Demnach gehe es nicht nur um die konkrete Präsenz einer Entität (oder eines Objekts), die in unserer Wahrnehmung unter Umständen ‘seltsamʼ oder aufgrund ihrer Fremdheit ‘erschreckendʼ wirken könnte, sondern auch um die Gewissheit, dass diese Entität (oder das Objekt) nach rationalen Gesichtspunkten niemals in dem spezifischen Kontext hätte erscheinen dürfen : « Yet if the entity or object is here, then the categories which have up until now used to make sense of the world cannot be valid. The weird thing is not wrong, after all : it is our conceptions that must be inadequate 8. » Aus diesem Grund können die klassischen, übernatürlichen Gestalten aus der Schauerliteratur – seien es Vampire, Monster, Werwölfe und ähnliche Nachgestalten – nicht als ‘seltsamʼ definiert werden, da sie sich stets in einem Territorium bewegen, wo man ihre Präsenz erwartet und daher ihre Existenz zwar eine möglicherweise existenzielle Bedrohung, jedoch nicht unbedingt eine Überraschung darstellt. Fisher vergleicht die Präsenz des ‘Seltsamenʼ demnach mit einer wissenschaftlich belegbaren, natürlichen Entität wie einem Schwarzen Loch; einem Phänomen also, das aufgrund des Zusammenwirkens von Raum und Zeit in der Regel jenseits unseres Verständnishorizonts liegt und uns daher als ‘seltsamʼ erscheint – auch wenn es dies vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht ist 9.

Diese Hypothese folgt einer Spur zu jenem theologischen Phänomen, das auch in Bezug auf die Analyse von H.P. Lovecrafts Schriften mehrfach als das Mysterium Tremendum bezeichnet wird. Der Begriff basiert auf Rudolf Ottos Definition des Göttlichen, das Zittern und Angst verursacht und letztlich zu einem ehrfürchtigen Schauder führt, da der Mensch nicht dazu in der Lage ist, etwas zu begreifen, was jenseits seiner Vorstellungskraft liegt 10.

Fisher sieht im Kontext des Seltsamen darüber hinaus auch einen starken Bezug auf Freuds Begriff des ‘Unheimlichenʼ, auch wenn er den Terminus noch einmal differenziert. Freud argumentiert hierbei bekanntermaßen, dass das, was wir nicht kennen, uns unheimlich erscheint, der Terminus ‘unheimlichʼ ja bereits eine Evokation des nicht Heimischen impliziere, also jenem, das sich außerhalb des Spektrums unserer Erfahrungen bewegt und als Folge davon in uns Angst und Beklemmung verursacht. Das Unheimliche, so Freud, sei jedoch bei näherer Betrachtung « wirklich nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist 11 ». Dies liege darin begründet,

 

dass jeder Affekt einer Gefühlsregung, gleichgültig von welcher Art, durch die Verdrängung in Angst verwandelt wird [und] dass dies Ängstliche etwas wiederkehrend Verdrängtes ist. Diese Art des Ängstlichen wäre eben das Unheimliche und dabei muß es gleichgültig sein, ob es ursprünglich selbst ängstlich war oder von einem anderen Affekt getragen wird  12.

 

Demnach bewegt sich, so Fisher weiter, auch Freuds Unheimliches stets im Bezugsrahmen des Bekannten, da man dabei von ‘Innen nach Außenʼ blicke 13. Das ‘Seltsameʼ hingegen offenbart einem das Innere aus der Perspektive des Außen. Und es ist genau diese Paradigmenverschiebung, welche die Wahrnehmung eines gestaltlosen Bösen hervorruft, das dem Menschen vollkommen fremdartig und gleichzeitig feindselig erscheint, weil es, um mit Fischers Worten zu sprechen, das ist, was hier nicht hingehört : « The weird brings to the familiar something which ordinarily lies beyond it, and which cannot be reconciled with the ›homely‹ (even as its negation) 14. »

Dies führt zur zentralen Frage in Bezug auf die weiter oben angesprochene Hypothese Fishers sowie Thackers zu Ottos Mysterium Tremendum, nämlich der Möglichkeit einer Entität, die hinter diesem gestaltlosen Bösen, dieser seltsamen Wahrnehmungen steckt, bzw. dem noch größeren Schrecken, der ihre Abwesenheit hervorrufen könnte. Fisher umreißt diese Frage mit den Worten : « What kind of agent is acting here? Is there an agent at all 15 ? », aus denen bereits die Unsicherheit über eine tatsächlich physisch wahrnehmbare Präsenz einhergeht bzw. die Angst vor der Absenz von Sinnhaftigkeit, Struktur und Logik. Was, wenn hinter dem, was uns als seltsam erscheint, das wir im Sinne Lovecrafts als ‘gestaltloses Böseʼ bezeichnen, einfach nur die unbarmherzige Gleichgültigkeit eines endlosen Universums steckt? Handelt es sich gar, wie Descartes implizierte, um einen dämonischen Gott, der unser aller Existenz lediglich vortäuscht ? Wohin führen die Marionettenfäden, die in den Erzählungen Thomas Ligottis, die im zweiten Teil dieses Aufsatzes exemplarisch für das ‘New Weirdʼ behandelt werden sollen, immer wieder als Leitmotiv auftauchen ? Führen sie letztendlich ins Nichts, mitten hinein in die Unendlichkeit jenes erbarmungslose Universum ?

In Lovecrafts Texten, so der Kulturphilosoph Eugene Thacker in seiner dreiteiligen Schrift Horror of Philosophy, kann jenes Mysterium Tremendum auch jenseits seiner von Otto geprägten religiösen Lesart durchaus auch als ein Phänomen verstanden werden, das auf ein gleichgültiges Universum verweist, in dem die Menschheit nicht von einem außenstehenden Feind bedroht wird – also von einer fassbaren, mitunter grausamen physischen Entität –, sondern wo das Universum als Ganzes der Menschheit in einer eisigen Gleichgültigkeit gegenüber steht 16. Dieses Universum verfolgt keinen Zweck, und wenn es dem Menschen schädigt, dann nicht, weil es einen Gewinn daraus ziehen könnte : « The holy is not good, and neither is it good ‘for usʼ as human beings », schreibt Thacker, Bezug nehmend auf Kants Vorstellung des Sublimen, « rendering the human insignificant. […] Humbled before what is vaster and slower than an entire empire, the human being can only register a negative awareness 17. » Er spricht daraufhin vom « shadowy, excessive, non-human aspect of the holy, an experience of the ‘wholly otherʼ that can only be described as a negative experience 18 ». Doch, so Thacker in Bezug auf Nietzsche weiter, wie denkt man die Welt als undenkbar, in der Abwesenheit eines anthropozentrischen Blickwinkels ?

Im zweiten Teil von Horror of Philosophy, Starry Speculative Corpse, geht Thacker auf mehrere Denkschulen und schließlich auch auf verschiedene Kunstwerke ein, die im Laufe der Jahrhunderte den Versuch unternommen haben, genau diese Problematik abzubilden. Interessant ist hier vor allem seine Deutung von Robert Fludds graphischer Repräsentation des Universums aus dem frühen 17. Jahrhundert, die einfach nur ein schwarzes Quadrat zeigt. Dies sei ein Bild, das voller Widersprüche stecke : « An image that, in order to be seen, negates itself. An un-universe that can only present its own absence. A boundless abyss that gives itself forth in an infinite austerity. Of course, words fail 19. » Thacker deutet Schopenhauers Pessimismus in diesem Kontext zum ‘kosmischen Pessimismusʼ um und nimmt in seiner Definition jenes Begriffs vor allem Bezug auf dessen Theorem, das besagt, dass der logische Schlusspunkt des Pessimismus die Infragestellung der Dichotomie zwischen Selbst und Welt sei, welcher der Pessimismus zunächst einmal überhaupt seine Existenz verdankt 20.

Doch eine solche Vorstellung würde ein Abweichen von der Beziehung sowie der Differenz zwischen Selbst und Welt implizieren, zwischen menschlich und nicht-menschlich, zwischen subjektiver Gesinnung und objektivem Anspruch. Tatsächlich würde es eine Bewegung hin zur Indifferenz, zur Gleichgültigkeit sein, eine Gleichgültigkeit der Welt dem Selbst gegenüber, ja, selbst des Selbst dem Selbst gegenüber : « Cosmic Pessimism would therefore question even the misanthropy of moral and metaphysical pessimism, for even this leaves us as human beings with a residual consolation – at least the world cares enough to be ‘againstʼ us 21. » So stelle Schopenhauers ‹ kosmischer Pessimismus › in letzter Instanz das ethische Prinzip der ‘ausreichenden Vernunftʼ in Frage, also die Annahme, dass es eine inhärente Ordnung in der Welt gibt, welche die Basis für zuverlässige Urteile in Hinblick auf ethische und moralische Wertungen darstellt. Tatsächlich nähert sich das Konzept des kosmischen Pessimismus einer unheimlichen Region der Passivität, einem ‘Geschehen-lassenʼ, einem liminalen Quietismus, bei dem ‘Nicht-Seinʼ die Hauptkategorie darstellt. Kurz : Im kosmischen Pessimismus ist die ‘Gleichgültigkeitʼ der Horizont aller Ethik. Weshalb er als Ethik natürlich versagt 22.

Das Beste, was die Menschen nach Schopenhauer also tun können, ist diese eingrenzende Erkenntnis für sich zu akzeptieren, dass die Welt durchaus anerkannt werden kann, aber nicht gekannt. Dass sie unseren Hoffnungen, unseren Träumen und auch Enttäuschungen gegenüber stets gleichgültig verharren wird. Da die Welt selbst keinen ausreichenden Grund für ihre Existenz hat, hat die Menschheit dies auch nicht 23.

Leben ohne Sein, so lautet Thackers hieraus entwickelte Formel (und gleichzeitig die Begründung für seine umfangreiche, dreiteilige Studie Horror of Philosophy), ist eine philosophische Absurdität, jedoch ist es keine Absurdität in der Horror-Literatur. Und genau das macht diese, gerade in einem existenziellen Kontext, so bedeutsam. So verweisen auch Armen Avanessian und Björn Quiring in der Einleitung zu ihrer Anthologie zum Spekulativen Horror, Abyssus Intellectualis, darauf, dass die Literatur des ‘New Weirdʼ einen ‘horror metaphysicusʼ zum Thema habe, der « den ganzen Kosmos furchterregend erscheinen » lasse und uns « mit einem absoluten Außen [konfrontiert], das unter keinen Umständen absorbiert oder integriert werden kann und über das sich keine erbauliche Geschichte mehr erzählen lässt 24 ».

 

Thomas Ligotti

Der amerikanische Schriftsteller und Theoretiker Thomas Ligotti hat in seinem viel beachteten philosophischen Traktat The Conspiracy Against the Human Race im Jahr 2010 jene Prämisse, die der ‘Cosmic Pessimismʼ stellt, philosophie- wie kulturgeschichtlich ausführlich aufgearbeitet. Dabei nimmt er Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung als Ausgangspunkt; dieser hinterfragt die Ratio des Willens zum Leben, indem er die unsichtbare treibende Kraft hinter diesem Willen als ein im Bewusstsein des Menschen verankertes Abstraktum definiert, das, wenn logisch hinterfragt, sich eigentlich als blinder Druck, als ein Streben völlig ohne Grund und Motiv herausstellt. Schopenhauer stelle in dieser Passage heraus, so Ligottis Deutung, dass für die Menschheit Existenz ein Zustand dämonischer Manie sei, wobei der Wille zum Leben der Geist sei, der von diesen vergänglichen und gepeinigten Individuen Besitz ergriffen habe 25.

Das Bewusstsein sei für Schopenhauer ein Unfall des Lebens, ein grober Fehler. Genau die Herausbildung eines Bewusstseins wiederum sei ein in der Evolutionsgeschichte unerhörter, weil sinnloser Vorgang, habe er den Menschen doch eine Existenz auferlegt, die sich primär aus der Verleugnung ihrer eigentlichen Sinnlosigkeit speist : « Wound up like toys by some force – call it Will. Èlan vital, anima mundi, physiological or psychological processes, nature, or whatever 26. » In dem Moment, in dem sich der Mensch über die Grundbedürfnisse jeglicher organischer Spezies hinwegsetzen möchte, ja, muss – gemeint sind das Überleben, die Reproduktion und das Sterben –, beginnt er einen Prozess der Selbsttäuschung, den Ligotti mit dem norwegischen Philosophen Peter Weesel Zapffe als bestehend aus Isolation, Verankerung, Ablenkung und Sublimation zusammenfasst 27. Der Mensch wolle aufgrund dieser eingeübten Abwehrmechanismen nicht verstehen, dass er lediglich eine Marionette an Fäden ist, die von einem unbarmherzigen, weil gleichgültigen Universum in chaotischen Bewegungen gesteuert wird. Genau dies sei die titelgebende ‘Verschwörung gegen die menschliche Spezies‘, nämlich die selbstauferlegte Weigerung, die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz anzuerkennen und daher permanent mit Hilfe der oben genannten Faktoren gegen diese anzukämpfen. Die Menschheit verschwört sich demnach gegen sich selbst, um die Illusion einer Kontrolle über das eigene Bewusstsein zu erlangen 28. Das kosmische Grauen reißt der Menschheit nun die Maske der Sinnhaftigkeit vom Gesicht und konfrontiert sie mit der nackten, kalten Essenz ihres Daseins, also dem Nichts.

Basierend auf dieser Hypothese verfasst Ligotti nun seine Kurzgeschichten, in denen er mal in symbolisch-literarischer, mal traktathafter Form immer wieder auf seine Definition des kosmischen Grauens bzw. des kosmischen Pessimismus zurückkommt 29. Interessant hierbei ist eine partielle Abgrenzung zu Lovecrafts Schriften, in denen das kosmische Grauen in vielen Fällen letztlich eine konkrete Gestalt annimmt, die jedoch für den Leser möglicherweise symbolisch zu deuten ist ; man denke nur an die berühmten Tentakelwesen, deren reine Existenz sich zwar jeder menschlichen Vorstellungskraft entzieht (und die daher jenes kosmische Grauen verkörpern), die jedoch gleichzeitig in Form von imaginierbaren Tentakelwesen für die jeweiligen Erzähler zur fassbaren Entität wird. Ob jene Wesen nur das Produkt der Phantasie jener Erzähler ist, um dem Unfassbaren eine Gestalt zu geben, bleibt meist in der Schwebe. Ligotti sieht sein Schreiben eher in der Tradition von Lovecraft-Geschichten wie The Music of Erich Zann, in denen dem kosmischen Grauen keine physische Gestalt verliehen wird, während es dem Menschen den furchterregenden Einblick in die Sinnlosigkeit seiner Existenz gibt, der für seine Texte symptomatisch ist.

Ligottis spätere Geschichten haben zunehmend Traktatform angenommen, am auffälligsten die letzte, autofiktionale Erzählung seines 2008 erschienenen Erzählbandes Teatro Grottesco, The Shadow, The Darkness, die gleichzeitig auch die Entstehung von The Conspiracy Against the Human Race beschreibt. Die Erzählung handelt von einem Künstler namens Grossvogel, der nach einer Erkrankung seines Verdauungsapparats eine künstlerische Epiphanie erfährt, da es ihm gelungen ist, im Zuge jener schmerzhaften, lebensbedrohlichen Krankheit seinen Geist als das zu erkennen, was er tatsächlich ist, nämlich eine Fiktion. Der Mensch, so teilt Grossvogel nach dieser Erkenntnis seinen Künstlerfreunden mit, sei ausschließlich organische Materie, die ein Teil jenes oben erwähnten indifferenten kosmischen Ganzen ist, und erst wenn es ihm gelinge, alles Geistige als Fiktion auch anzuerkennen, könne der Mensch wahre Kunst erschaffen : « [T]he mind and the imagination, the soul and the self, are all simply nonsense and dreams 30. » Bei der Enthüllung des ersten Kunstwerks nach seiner künstlerischen Wiedergeburt unterbreitet nun Grossvogel jenen Freunden in ausschweifenden Monologen seine neue Philosophie : « For that is what we have become, or what we have all but become – bodies without the illusion of minds or imaginations, bodies without the distractions of souls or selves 31. » Die Welt bestehe ausschließlich aus « a mountainous pile of human and non-human bodies. These are all we have and all we are; these are what is used and thrived upon 32 ». Und es gebe nichts, was diesen Alptraum auflösen oder unterminieren könne, denn es existiere nichts, das auch nur irgendetwas tun könne, das irgendetwas sein könne : « The very idea of such a thing is only nonsense and dreams 33. »

Und doch gebe es etwas, was an diesen Körpern permanent ziehe, die aber keinesfalls als ein Kollektiv verstanden werden dürften, denn jede Entität stehe im Kosmos für sich allein :

 

A collective entity called the human race cannot exist where there is only a collection of non-entities, of bodies which are themselves only provisional and will be lost one by one, the whole collection of them always approaching nonsense, always dissolving into dreams. There can be no conspiracy in a void, or rather in a black abyss  34.

 

Am Ende der Erzählung erkennt der Ich-Erzähler, einer der Künstlerfreunde Grossvogels, die der Enthüllung seines neuesten, ultimativen Live-Action-Kunstwerks beiwohnen sollen, das jedem Betrachter endgültig seine bedeutungslose Rolle im Kosmos offenbaren soll, was hinter dem Projekt bzw. der Philosophie steckt, was sich gleichzeitig wie eine Apologie der Philosophie Ligottis liest :

 

And what I saw was a black snow falling from a black sky. There was nothing recognizable in that sky – certainly no familiar visage spread out across that night and implanted into it. There was only this blackness above and this blackness below. There was only this consuming, proliferating blackness whose only true and final success was in merely perpetuating itself as successfully as it could in a world where nothing exists that could ever hope to be anything else except what it needs to thrive upon…until everything is entirely consumed and there is only one thing remaining in all existence and it is an infinite body of blackness activating itself and thriving upon itself with eternal success in the deepest abyss of entity  35.

 

Wie bereits erwähnt, ähneln einige spätere Erzählungen Ligottis, so auch The Shadow, The Darkness, eher Traktaten als Erzählungen im klassischen Sinne, da ihnen eine kongruente narrative Struktur fehlt, so dass sie vielmehr als Vermittlungsinstanzen für seine philosophischen Theoreme angesehen werden können. Doch auch im Kontext von narrativen Konstrukten, die sich jenen klassischen Horrorgeschichten annähern, wird sein nihilistisches Weltbild in Form kosmischen Horrors vermittelt. Oft spielt dabei das Karnevaleske eine entscheidende Rolle ; wiederkehrende Figuren in seinen Erzählungen sind der Clown, der Harlekin, die Marionette oder der Wanderzirkus mitsamt seiner Sideshow und ihren zwielichtigen Gestalten. Dabei es ist vor allem die Marionette, die Ligotti als symbolisch für das Schicksal des Menschen ansieht, da auch er an den Fäden eines übermächtigen Strippenziehers hängt. Gleichzeitig erscheint sie wiederholt als grausame Spiegelung, die ihn bei ihrem Anblick erschaudern lässt. Marionetten seien dem Menschen nachgebildet, jedoch nur bis zu einem gewissen Grad, weil eine « resemblance to our soft shapes would be a strange and awful thing, too strange and awful, in fact, to be countenanced without alarm 36 ». Man wisse beim Anblick einer solchen Puppe, dass es sich um eine Marionette handelt, dass es sich um leblose Objekte handelt, und doch, im Dunkeln eines Kellers etwa, bekomme man manchmal das verstörende Gefühl, die Marionetten schauen uns an; nicht wie Menschen dies tun, sondern wie Puppen dies tun. « In such moments of mild disorientation », schreibt Ligotti in The Conspiracy Against The Human Race, « a psychological conflict erupts, a dissonance of perception that sends through our being a convulsion of supernatural horror 37 ». Wir wissen, dass unsere Angst vor den Puppen auf unserer existentiellen Angst basiert, ebenfalls Marionetten in einem chaotischen System zu sein, durch das wir gesteuert werden, als reine organische Masse, die mit einem Bewusstsein bestraft wurde. Wenn Puppen in Filmen oder Büchern plötzlich zum Leben erwachen, tun sie dies im vollen Bewusstsein, keine Puppen mehr sein zu wollen 38. Da sie in diesen Momenten plötzlich über ein Bewusstsein verfügen, kämpfen sie gegen ihre rein dingliche Existenz, so wie wir als Menschen gegen unsere organische kämpfen 39. Und so dient die Marionette gerade in ihrer Funktion als Spiegel hervorragend als Medium des kosmischen Horrors, wie Ligottis Erzählung The Clown Puppet deutlich macht.

Diese beginnt, so kann der Anfang der Erzählung gedeutet werden, mit einer Verneigung vor einem von Ligottis literarischen Vorbildern, Thomas Bernhard 40. Bekanntlich schimpfte dieser in seinen Traktat-ähnlichen Romanen in einem bewusst enervierenden repetitiven Gestus über die ‘Stumpfsinnigkeitʼ der menschlichen Existenz. Im Stile Bernhards beginnt auch The Clown Puppet, in der ein Ich-Erzähler über einen zunächst nicht näher explizierten Fluch spricht, der über seinem Leben zu hängen scheint :

 

It has always seemed to me that my existence consisted purely and exclusively of nothing but the most outrageous nonsense. As long as I can remember, every incident and every impulse of my existence has served only to perpetrate one episode after another of conspicuos nonsense, each completely outrageous in its nonsensicality. Considered from whatever point of view – intimately close, infinetely remote, or any position in between – the whole thing has always seemed to be nothing more that some freak accident occurring at a painfully slow rate of speed  41.

 

Der Ich-Erzähler, der von diesem Nonsense seiner eigenen Existenz heimgesucht wird, arbeitet in der Apotheke eines gewissen Mr. Vizniak in einem jener für Ligotti typischen Nicht-Orte 42 ; Kleinstädte, die weder geographisch noch zeitlich eindeutig zugeordnet werden können. Wie die meisten von Ligottis Erzählern ist auch dieser ein Herumreisender, der aus von ihm nicht näher erläuterten Gründen genau in dieser Stadt und hinter der Theke jener Apotheke gelandet ist. Doch wird er stetig von einem wiederkehrenden Alptraum geplagt, an den er sich jedoch im Laufe seines Lebens mittlerweile gewöhnt zu haben scheint : Immer wieder erscheint eine diabolisch anmutende Clown-Marionette vor ihm und stattet ihm einen ‘Besuchʼ ab, wie er jene seltsamen Treffen bezeichnet. Immer wenn das Licht flackert und einen rötlich-goldenen Ton annimmt, weiß er, dass die « already familiar routine of nonsense 43 » ein weiteres Mal beginnen wird. Zunächst bemerkt er nur eine unheimliche, schemenhafte Präsenz, die sich immer wieder aus seinem Blickfeld windet, bis er ein Klackern hört, und plötzlich « an antiquated marionette, a puppet figure of some archaic type 44 » vor ihm steht : « Its design was that of a clown puppet in pale pantaloons overdraped by a kind of pale smock, thin and pale hands emerging from the ruffled cuffs of its sleeves, and a powder-pale head rising above a ruffled collar 45. » Die Kreatur hängt zudem an Marionettenfäden, die scheinbar zum Himmel hin führen :

 

I always looked at the wires which were attached to the body of the puppet thing, and I tried to follow those wires to see where they led. But at some point my vision failed me; I could visually trace the wires only so far along their neat vertical path…and then they became lost in a thick blur […] This phenomenon of the wires disappearing into a blur supported my observation over the years that the puppet did not have a life of its own  46.

 

Bei jedem ihrer Besuche bekommt der Erzähler von jener Marionette seltsame, kaum lesbare Forderungen auf einem Zettel gereicht und muss daraufhin versuchen, ihm gestellte Aufgaben zu lösen, die nicht besonders schwierig, aber stets ohne erkennbaren Sinn oder Nutzen sind. Irgendwann, so berichtet er, habe er dann angefangen, die Marionette zu testen, indem er sie etwa nach bestimmten Dingen gefragt hat, die sie ihm besorgen soll, woraufhin die Puppe das Gewünschte stets schweigend und im Handumdrehen aus ihrer Hosentasche gezogen hatte, so unmöglich die Forderungen auch zu sein schienen. Doch bei dem nun beschriebenen Besuch in Mr. Vizniaks Apotheke entschließt sich der Erzähler, sich den sowieso nur schwer entzifferbaren Wünschen der Puppe, dem Ort angemessen nach medizinischen Präparaten, erstmals zu widersetzen und fordert sie heraus, im Hinterzimmer selbst nach der verlangten Medizin zu suchen. Zu seiner Überraschung verschwindet die Marionette tatsächlich im Hinterzimmer um, wie er vermutet, nach der Medizin zu suchen. Plötzlich kommt der über der Apotheke wohnende Mr. Vizniak in den Laden, obwohl es mitten in der Nacht ist. Dieser meint, er habe Geräusche aus dem Hinterzimmer gehört und geht trotz der Warnung des Erzählers hinein. Als er die Marionette erblickt, wird dem Erzähler klar, dass auch Vizniak ein Heimgesuchter war und nun von den Fäden an der Puppe in die Lüfte gezogen wird, bis er mitsamt der unheimlichen Erscheinung außer Sichtweite verschwunden ist. Am Ende bleibt ein ob der verpassten Auflösung der Frage, wer denn die Fäden in der Hand halte, neidischer Erzähler zurück, der immerfort den Gedanken kreisen lässt : « Now he would see. Mr. Vizniak would see what controlled the strings of the clown puppet 47. »

The Clown Puppet verweist auf den menschlichen Drang, dem Dasein eine Bedeutung zu verleihen. Die Figur der Clown-Marionette erfüllt hier eine duale Funktion : Einerseits agiert sie zunächst, wie in einer klassischen Horror-Geschichte, als Agent des Bösen, als Alptraum des Erzählers, wie er auch die Protagonisten der Erzählungen Edgar Allan Poes immer wieder heimsucht. Sie ist eine unheimliche Erscheinung, die an diesem Ort und vor allem in dieser Form, also ohne erkennbaren menschlichen Agenten, der sie steuert, nicht sein darf. Zunächst zweifelt der an Poe geschulte Leser noch am Verstand des Erzählers und rätselt um die symbolische Bedeutung der Heimsuchung, zumal sie diesen, Zeit seines Lebens, immer wieder während seiner meist nachts stattfindenden Jobs erschienen ist.

Anders als in den Texten Poes ist die dieser Art unheimlicher Erzählungen oft inhärente Deutungsmöglichkeit des wahnsinnigen und daher unzuverlässigen Erzählers jedoch nicht gegeben; sie erscheint selbstverständlich im Bereich des Möglichen, weil es stets die einzige Option des Lesers ist, das Irrationale als Realität eines Wahnsinnigen zu akzeptieren, jedoch ist sie in Hinblick auf Ligottis Philosophie nicht naheliegend. Die Marionette scheint über übersinnliche Fähigkeiten zu verfügen, und ihr Ziel gibt sowohl dem Erzähler als auch dem Leser Rätsel auf. Tatsächlich hat der Erzähler die Angst vor der Puppe im Laufe der Jahre verloren, warum sonst sollte er sie in diesem Fall herausfordern, weil ihm, so seine Worte, « ihre Albernheiten langsam auf die Nerven gehen. » Als Agent des Bösen, als Bote eines bösartigen Puppenspielers, der wortwörtlich die Fäden in der Hand hält (und an den der Erzähler unerschütterlich glaubt), versagt plötzlich ihre Funktion, da der Erzähler die Erscheinung als « Nonsense » abtut, die ihren Schrecken eingebüßt hat.

Dem Leser erscheint die Puppe, und das ist ihre zweite Funktion, in jedem Fall unheimlich, nicht nur, weil sie in der Tradition des literarischen Horrors inszeniert wird, sondern auch, weil eine Marionette stets ein Spiegel unser selbst ist. Als Spiegelbild des Erzählers, der sich fortwährend fragt, wo denn nun ihre mysteriösen Fäden hinführen mögen, ist sie in Hinblick auf den kosmischen Horror und der damit verbundenen Vorstellung eines nicht bösartigen, sondern vielmehr gleichgültigen Universums selbstredend eine wirksame Allegorie. Ihr wahrer Horror liegt nicht in ihrer Boshaftigkeit, in irgendwelchen sinisteren Plänen, die sie verfolgen mag, sondern darin, dass sie dem Erzähler (und offenbar auch anderen Menschen) die Sinnlosigkeit ihrer Existenz vor Augen führt. Es gibt mutmaßlich niemanden, der die Fäden in der Hand hält, sondern die Fäden führen in die Endlosigkeit eines kalten, gleichgültigen Universums. Die Puppe hat trotz ihrer unheimlichen Erscheinung keine bösartige Agenda, sie ist einfach nur da, als Marionette und als Clown, also als albernes, komisches Spiegelbild des Menschen, mit dem sie ihren Schabernack treibt.

Auch in einer anderen Erzählung kommt Ligotti zurück auf das Motiv des Clowns und des Puppenspielers, um seine Philosophie in Form fiktionaler Horrorgeschichten zu vermitteln. In The Bells will sound forever macht ein Handlungsreisender halt in einem nicht näher definierten « Ort an der nördlichen Grenze 48 », wo er in ein Gasthaus einkehrt. Obwohl das unheimliche Gebäude leer zu stehen scheint, weist ihm die nicht minder unheimliche Besitzerin Mrs. Pyke statt der großzügigen Zimmer auf den unteren Etagen nur eine beengte Dachkammer zu. Der Reisende wundert sich, warum der gegenüberliegende Zugang zum Dachstuhl offengelassen wurde und seine Neugier wird geweckt. Er betritt den Dachstuhl und findet dort eine Vielzahl an karnevalesken Kostümen – dies ist zunächst nicht verwunderlich, denn Mrs. Pyke war in ihrem früheren Leben auf einem Jahrmarkt tätig, wie sie ihm zuvor erzählt hat. Er verspürt den plötzlichen Drang, ein dort herumliegendes Harlekinskostüm anzuziehen, und, als er es trägt, einen noch größeren, sich an Ort und Stelle auszuruhen. Im Halbschlaf hört er immer wieder ein seltsames Klingelgeräusch und als er schließlich erwacht, sieht er sich im Spiegel als Harlekinkopf an einem Holzstiel in Mrs. Pykes Hand, während sein Körper unbeweglich auf dem Boden verharrt. Am nächsten Morgen erwacht er im Bett seiner Kammer und Mrs. Pyke begrüßt ihn, als sei nichts geschehen. Er verlässt die Stadt und als er von seiner Reise jenseits der Grenze zurückkehrt, erfährt er, dass das unheimliche Gebäude niedergebrannt ist.

Auch in dieser Geschichte wird die Metapher des Menschen als wehrlose Puppe in Form einer Horrorgeschichte, die mit bewährten Mitteln arbeitet, wiedergegeben. Doch während Leser und Opfer dem Glauben erliegen, Mrs. Pyke sei die allmächtige Puppenspielerin, eine Hexe, der es gelingt, ihre Opfer zu Handpuppen zu machen, bleibt von der Nacht nur ein unerklärlicher Drang, immer wieder an diesen Ort zurückzukehren. Jedoch ist die scheinbare Puppenspielerin selbst einem Brand zum Opfer gefallen. Wer also hält wirklich die Fäden in der Hand ?

Ligotti verzichtet in diesen und in allen anderen Geschichten bewusst auf Erklärungen. Auffallend ist nicht nur in den referierten Erzählungen, dass die vorgebliche Gestalt des Bösen, die immer wieder angedeutet wird, sich am Ende in eine Gestaltlosigkeit verwandelt. Die physischen Bedrohungen, die von Menschen, geisterhaften Erscheinungen, gar Monstern, wie in der Erzählung Our temporary supervisor zunächst ausgehen, erweisen sich als falsche Spur, weil die Protagonisten nicht die Realität eines gleichgültigen Universums wahrhaben wollen. Das Monster wird niemals auftauchen, denn die Bedrohung ist eine existenzielle, keine physische.

In einer an Albert Camus geschulten Erzählung wie The Town Manager ergibt sich eine postapokalyptisch anmutende Stadt den immer absurderen Regeln des ständig wechselnden ‘Town Managersʼ, bis dieser jeweils spurlos verschwindet und von seinem Nachfolger abgelöst wird. Als plötzlich ein ›Town Manager‹ auftaucht, der sich nicht zeigt, sondern durch brutale Morde an allen, die seinen Forderungen nicht folgen wollen, auffällt, und der eine übersinnliche Entität zu sein scheint, glauben Leser und Protagonisten, den ‹ bösen › Sinn dieses Bürgermeisteramts erkannt zu haben. Doch plötzlich verlangt dieser ‹ Town Manager › nur noch Absurditäten, ‘Nonsenseʼ, von den Bürgern, bis auch er verschwindet. Die Erzählung endet damit, dass der aus der Stadt geflüchtete Erzähler, der erkennen musste, dass in allen Städten dasselbe Spiel gespielt wird, in einem Diner angesprochen wird, ob er nicht auch eine Stadt als ‘Town Managerʼ übernehmen möchte.

Auch hier zeigt sich der Drang des Menschen, dem Bösen einen Sinn zu verleihen, so grausam er auch sei. Als Horrorgeschichten funktionieren Ligottis Erzählungen jenseits des philosophischen Überbaus um das kosmische Grauen zudem auf der Ebene der Erzeugung existenzieller Angst, was natürlich mit dem kosmischen Pessimismus eng verknüpft ist, also Kierkegaards Trennung von Furcht und Angst. Die Furcht vor einem Monster, einem Geist, einer übersinnlichen Erscheinung, welche die klassische Horrorliteratur bevölkert, macht den Weg frei für eine existenzielle Angst, welche eine endlose, unerklärliche Dunkelheit fürchtet, die nicht objektgebunden ist. Es ist wie mit dem Protagonisten in Mark Z. Danielewskis House of Leaves, der, gefangen in einem sinnlosen, endlosen, unbegreiflichen Labyrinth, danach fleht, dass endlich das ‘Monsterʼ in Gestalt des Minotaurus auftauchen soll, um ihn von dieser existenziellen Angst, die er als gestaltloses Böses erlebt, zu erlösen49.

 

  1. Vgl. Jeff VanderMeer, « The New Weird : ‹ It’s Alive? ›», S. ix-xviii, in Jeff VanderMeer, Ann VanderMeer, The New Weird, San Francisco, Tachyon Publivcations, 2008, S. ix.
  2. Vgl. ibid.
  3. Dessen bekanntester Stellvertreter der britische Autor Clive Barker ist.
  4. Jeff VanderMeer, « The New Weird : ‹ It’s Alive? ›», op. cit., S. xvi
  5. Ibid.
  6. Vgl. Eugene Thacker, Cosmic Pessimism, University of Minnesota, Univocal, 2015.
  7. Marc Fisher, The Weird and the Eerie, London, Repeater, 2016, S. 15.
  8. Ibid.
  9. Ibid.
  10. Vgl. Eugene Thacker, Horror of Philosophy, vol. 3 : Tentacles Longer than Night, Alresford, Zero Books 2015, S. 175-176. Dazu gleich mehr.
  11. Sigmund Freud, « Das Unheimliche », S. 227-268, in Sigmund Freud, Anna Freud (Hg.), Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet, Bd XII : Werke aus den Jahren 1917-1920, Frankfurt am Main, Fischer, 1966, S. 524.
  12. Id., S. 254.
  13. Vgl. Marc Fisher, The Weird and the Eerie, op. cit., S. 10.
  14. Id., S. 10-11.
  15. Id., S. 11.
  16. Vgl. Eugene Thacker, Tentacles Longer than Night, op. cit., S. 175-176.
  17. Ibid.
  18. Id., S. 176.
  19. Eugene Thacker, Horror of Philosophy, vol. 2 : Starry Speculative Corpse, Alresford, Zero Books, 2015, S. 50.
  20. Vgl. id., S. 136-142.
  21. Id., S. 139-140.
  22. Vgl. id., S. 140.
  23. Vgl. id., S. 144-145.
  24. Armen Avanessian, Björn Quiring, « Zur Einführung », S. 9-24, in Armen Avanessian, Björn Quiring (Hg.), Abyssus Intellectualis: Spekulativer Horror, Berlin, Merve, 2013, S. 12.
  25. Vgl. Thomas Ligotti, The Conspiracy Against the Human Race, New York, Viking Press, S. 53-54.
  26. Id., S. 54.
  27. Vgl. id., S. 31-32.
  28. Vgl. id. sowie S. 41-42.
  29. Vor allem in seinen Sammlungen Songs of a Dead Dreamer (1985, erweitert 1989), Grimscribe (1991) und Teatro Grottesco (2006).
  30. Thomas Ligotti, « The Shadow, the Darkness », S. 243-280, in Thomas Ligotti, Teatro Grottesco, London, Virgin 2008, S. 272. « Nonsense » und « Dreams » sind in Bezug auf die menschliche Selbstwahrnehmung übrigens Leitbegriffe in Ligottis Universum.
  31. Id., S. 278.
  32. Ibid.
  33. Id., S. 279.
  34. Ibid.
  35. Id., S. 280.
  36. Thomas Ligotti, The Conspiracy Against the Human Race, op. cit., S. 16.
  37. Ibid.
  38. Auch Freud geht in Das Unheimliche auf die unheimliche Wirkung von Puppen ein, hier in Bezug auf E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann. Vgl. Sigmund Freud, Das Unheimliche, op. cit., S. 260f.
  39. Vgl. id, S. 16-17.
  40. Vgl. Darrell Schweitzer, « Weird Tales Talks With Thomas Ligotti », S. 23-29, in Darrell Schweitzer (Hg.), The Thomas Ligoti Reader. Essays and Explorations, Holicong, Wildside Press, 2002, S. 24.
  41. Thomas Ligotti, « The Clown Puppet », S. 53-64, in Thomas Ligotti, Teatro Grottesco, op. cit., S. 53.
  42. Marc Augé beschreibt einen « Ort » als definiert von Identität, Relation und Geschichte, er nennt dies einen « anthropologischen Ort ». Dem setzt er jedoch nicht den Raum entgegen, sondern den « Nicht-Ort », dem all dies abgeht, und der eine Art abstrakte Topographie darstellt: Verbindung von Fluglinien, Autobahnen, Hotelzimmern, Einkaufszentren. Einen Raum sieht er eng verknüpft mit dem Nicht-Ort (auch wenn es nicht das Gleiche ist), denn er besitzt keine Identität und ist weder relational noch historisch. Vgl. Marc Augé, Orte und Nicht-Orte, Michael Bischoff (Übers.), Frankfurt am Main, Fischer, 1994, S. 92-99.
  43. Thomas Ligotti, « The Clown Puppet », op. cit., S. 56.
  44. Id., S. 57
  45. Ibid.
  46. Id., S. 57-58.
  47. Id., S. 64.
  48. Vgl. Thomas Ligotti, « The Bells will sound forever », S. 126-137, in Thomas Ligotti, Teatro Grottesco, op. cit., S. 127.
  49. Vgl. Mark Z. Danielewski, House Of Leaves, New York, Pantheon Books, 2000.
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